Datenschutz behindert medizinische Notfallversorgung

Prof. Dietmar Pennig, Generalsekretär der DGOU und DGU mahnte auf dem DKOU an, dass die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Menschenleben in der Notfallmedizin gefährdet.

„Die Auslegung der DSGVO gefährdet Menschenleben. Das ist unverantwortlich!“, kritisierte der Experte, der an der Entwicklung des seit 2008 bestehenden Traumanetzwerks, beteiligt war und dieses seit Jahren vertritt. Er forderte zur besseren Notfallversorgung der Patienten und Patientinnen eine Anpassung der Datenschutzregeln.

Ziel des Netzwerkes sei es die Notfallpatienten und Notfallpatientinnen in das nächstmögliche Krankenhaus zu transportieren. Vom Alarm bis zur Notaufnahme dauere dies in der Regel eine Stunde. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass diese Klinik nicht nur ausreichend für die Verletzungen der Patienten und Patientinnen spezialisiert ist, sondern dafür auch sofort die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung stehen, erklärte Pennig. „Im Idealfall übermittelt der Krankentransport noch vor Ankunft am Krankenhaus wichtige Patientendaten wie Blutwerte, damit die Vorbereitungen in der Klinik bereits starten. Diese Datenübermittlung unterliegt den DSGVO-Bestimmungen, also der ausdrücklichen Zustimmung des Patienten, der als Notfallpatient oft nicht ansprechbar ist, mit der Folge, dass wertvolle Zeit vergeht“, so Pennig weiter.

Jeder Tag unter den aktuellen Datenschutzbestimmungen gefährdet Leben

Für Pennig wäre es selbstverständlich, dass der Krankentransport die Patientendaten wie Blut- oder EKG-Werte an das Krankenhaus zur Vorbereitung der optimalen Patientenübernahme sendet. Dies setzt laut DSGVO aber die aktive Zustimmung des Patienten oder der Patientin voraus, und diese Zustimmung können Schwerverletzte oft nicht geben, was laut Pennig gravierende Folgen haben kann. So empört Pennig, dass bewusstlose Patienten und Patientinnen keine aktive Zustimmung geben können, und dadurch eine Übermittlung der Daten verboten ist, wodurch die Überlebenschancen sinken. Er stellte klar: „Die DSGVO behindert die Lebensrettung. Technisch können wir die Daten problemlos übertragen, aber wir dürfen es nicht, wenn der Patient nicht mehr ansprechbar ist zur Einwilligung.“ Der Experte forderte sofort eine angepasste Datensicherheitslösung für das Traumanetzwerk: „Jeder Tag unter diesen Datenschutzbedingungen gefährdet Leben.“ Er verwies darauf, dass andere Länder hier weiter sind und gab noch einen Denkanstoß: „Ich kenne keinen Schwerstverletzten, der ansprechbar war, und die Datenweitergabe zu seiner Lebensrettung abgelehnt hat.“

Andere Länder lösen das Kostenproblem besser als Deutschland

Das Traumanetzwerk, von dem die Schwerverletzten profitieren, finanziert sich aus Beiträgen der teilnehmenden Krankenhäuser. „Die teilnehmenden Kliniken verbessern seit Jahren die Notfallversorgung und bleiben auf den Zusatzkosten sitzen. Das ist unerträglich!“, befand Pennig. Nach Jahren der Entwicklung und Einführung müsse sich die öffentliche Hand an den Kosten beteiligen, forderte er weiter. „Andere Länder fördern solches Engagement mit finanzieller Beteiligung und andere Länder wie zum Beispiel Österreich, gehen mit dem Datenschutz klüger um als wir.“

DSGVO erschwert die Nutzung des Traumaregisters

Zum Traumanetzwerk gehört das Traumaregister, das 1993 an den Start ging und seitdem etwa 400.000 Behandlungsverläufe dokumentiert. Etwa 800 teilnehmende Krankenhäuser tragen die Datensätze ein, die der nationalen Qualitätssicherung dienen und am Ende nur ein Ziel verfolgen, so Pennig: „Wir sammeln Daten in der Schwerverletztenversorgung, um unsere Behandlungen zu verbessern. Wir wollen die Überlebenschancen bei schweren Unfällen weiter erhöhen.“ Um die Qualität der Schwerstverletztenversorgung aber weiter zu erhöhen, benötige es die Dateneingabe vonseiten der Krankenhäuser, was aber seit Einführung der DSGVO 2018 problematisch ist. Denn auch hier behindern die administrativen und rechtlichen Hürden die Einpflege, mit Folgen für schwerverletzte Patienten und Patientinnen, so der ärztliche Direktor und Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Handchirurgie und Orthopädie des St. Vinzenz-Hospitals in Köln: „Die Zahl der eingegebenen Patientenfälle sinkt durch die DSGVO dramatisch. Allein 2019 sank die Aufnahmequote um 17 Prozent. Dies ist ein enormer Datenverlust bei rund 25.000 Schwerstverletzten pro Jahr.“ Pennig befürchtet mit seinen Kollegen und Kolleginnen, dass die Zahlen nicht mehr valide für Verbesserungen sind.“

Er verdeutlichte dies an zwei Beispielen: So gebe es derzeit rund 150 Datensätze zu schwerstverletzten Schwangeren. „Das bedeutet bezogen auf die Gesamtzahl der Schwerstverletzten, dass Ärzte diese Personengruppe nicht so oft sehen.“ Umso wichtiger sei es im seltenen Fall einer schwerverletzten Schwangeren, dass der behandelnde Arzt auf Datensätze zurückgreifen kann, die dokumentieren, wie die beste Versorgung im Notfall aussieht. Eine weitere kürzlich aufgekommene Frage sei gewesen, ob eine beschädigte Milz zu entfernen sei oder nicht. Anhand der Datenbank konnte eindeutig belegt werden, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patienten mit Milzrupturen bei der Organentfernung steigt. Solche Daten sind laut Pennig enorm wichtig zur Weiterentwicklung der Qualität der Schwerstverletztenversorgung.

Die übertriebene Interpretation der Datenschützer zum rechtssicheren Umgang mit dem Datenschutz, welcher gleichzeitig praxisfern sei, ärgert deshalb den DGU-Generalsekretär: „Wir wollen pseudonymisierte Daten rechtssicher verwenden, auch ohne Einwilligungserklärung.“ Neben der pseudonymisierten Eingabe von Daten in das Register, seien Patienten ohnehin schon durch die Ärztliche Schweigepflicht vor Datenmissbrauch geschützt. „Schwerstverletzte und Verstorbene können keine Einwilligung geben. Die gesetzliche Datensicherung ist in diesem Fall absurd“, ergänzte Pennig und wies in dem Zusammenhang auch auf die unterschiedliche Interpretation der DSGVO durch die Bundesländer hin. So sei es heute in zwei Bundesländern nicht erlaubt die Daten Verstorbener in das Register einzupflegen. „Das ist nicht zu verstehen, da wir doch wissen müssen, warum die Patientinnen und Patienten gestorben sind“, so der Experte.

Seine Forderung lautet: „Ein Registergesetz senkt die DSGVO-Hürden und unterstützt die Lebensrettung. Mit einem Registergesetz können Datenschützer und Unfallchirurgen gut leben, und viele Schwerstverletzte im wahrsten Sinne auch.“ (hr)

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